Advantage Ausdauer

Warum und wie Tennisspieler von einer Diagnostik der Ausdauerleistung profitieren, verraten die iQ athletik Trainings- und Diagnostikexperten

Andreas Wagner von iQ athletik
Andreas Wagner M.A. | Der Sportwissenschaftler und Mitbegründer von iQ athletik hat selbst viele Jahre als aktiver Spieler auf dem Tennisplatz gestanden
Ronja Klees | Die Sportwissenschaftlerin B. Sc. ist eine erfahrene Leistungsdiagnostikern und als aktive Volleyballerin ein großer Fan von Spielsportarten
Ronja Klees | Die Sportwissenschaftlerin B. Sc. ist eine erfahrene Leistungsdiagnostikern und als aktive Volleyballerin ein großer Fan von Spielsportarten

Matchball bei Dämmerung

Beim letzten Matchball war die Dämmerung bereits angebrochen über dem heiligen Rasen von Wimbledon. Das Finale zwischen Federer und Djokovic war das längste, das je in Londons prestigesträchtigstem Turnier gespielt worden war. Am Ende standen 4 Stunden und 57 Minuten auf der Stadionuhr des Centre Court. Djokovic besiegte Federer nach fünf langen Sätzen. Erstmals ist die Entscheidung über den Wimbledon-Sieger in einem Tiebreak gefallen, die Regelung wurde erst in diesem Jahr eingeführt. Ohne dieser Änderung in den Statuten wäre die Spielzeit vermutlich noch deutlich länger gewesen.

Ausdauer im Tennis

Am Ende des längsten Wimbledon-Finales aller Zeiten hatten beide Spieler nicht nur großes Tennis gezeigt, sie haben auch Ausdauer bewiesen. Eine motorische Fähigkeit, die nicht nur in typischen Ausdauersportarten wie Laufen, Radsport und Triathlon eine leistungsbestimmende Größe ist. Die Ausdauer ist auch für Tennisspieler eine der zentralen konditionellen Fähigkeiten. Sie ermöglicht es, die physische und psychische Belastung während eines Matches möglichst lange aufrechtzuerhalten (Ermüdungswiderstandsfähigkeit) und sich nach Spiel- oder Trainingsende möglichst rasch zu erholen (Regenerationsfähigkeit). 

Tennisspieler beim Aufschlag
Mit Aufschlaggeschwindigkeiten von über 200 km/h ist das heutige Tennis wesentlich schneller geworden. Die Physis spielt eine immer wichtigere Rolle (Foto: Moises Alex/unplash)

Im Tennis spielt die Physis eine immer wichtigere Rolle. Die Anforderungen, die an die Sportler gestellt werden, sind höher denn je. Verantwortlich dafür ist, neben besseren technischen Voraussetzungen, ein besserer konditioneller Zustand der Athleten auf dem Tennisplatz. Mit Aufschlaggeschwindigkeiten von über 200 km/h ist das heutige Tennis wesentlich schneller geworden. Dies verlangt den Spielern volle Konzentration ab – und das bei langen Matches über viele Stunden hinweg. Ermüdung schränkt diese Konzentration ein. Hier kommt der Grundlagenausdauer eine wichtige Rolle zu. Diese ist wichtig, um im entscheidenden Moment – auch nach fünf Stunden voller körperlicher Beanspruchung – die Konzentration für den Schlag aufrecht zu erhalten, der über Sieg oder Niederlage entscheiden kann. Tennisspieler profitieren folglich ganz besonders von einer guten Ausdauerleistungsfähigkeit. Deshalb sollte der Ausdauer auch im Tennistraining eine besondere Aufmerksamkeit zukommen – zumal sie sehr gut mess- und trainierbar ist.

Ausdauer messen

Zum Bestimmen des Ist-Zustandes der Ausdauerleistungsfähigkeit stehen bewährte Messverfahren wie Laktatdiagnostik (Ermitteln der Laktatwerte im Blut; mehr erfahren >>>) und Spiroergometrie (Atemgasanalyse; mehr erfahren >>>) sowie moderne Methoden wie INSCYD (ergänzende physiologische Berechnungen; mehr erfahren >>>) zur Verfügung. Für maximale Erkenntnisse können diese Methoden auch kombiniert werden. Die Kombination aus Laktatdiagnostik und Spiroergometrie stellt gegenwärtig den Goldstandard dar; mehr erfahren >>>. Dabei erfolgt unter Belastung eine wiederholte Entnahme eines Bluttropfen am Ohr zum Bestimmen des Laktatwertes im Blut. Gleichzeitig werden mit einer Atemmaske Veränderungen in der Sauerstoffaufnahme gemessen (Spiroergometrie). 

Die Messungen erfolgen innerhalb eines speziell auf die Anforderungen ausgerichteten Ausdauertests. Für Tennisspieler empfiehlt sich ein Stufentest auf dem Laufband. Dies ermöglicht einen tiefen Einblick in die physiologische Ausdauerleistungsfähigkeit eines Sportlers. Die Ergebnisse bringen wertvollen Aufschluss über alle wichtigen Funktionssysteme: Kreislaufsystem, Atmung und Stoffwechsel. Auf diesem Weg werden sehr zuverlässige Parameter ermittelt, die aufzeigen, wie gut die Ausdauer eines Tennisspielers trainiert ist und wo noch Leistungspotenzial vorhanden ist. Besondere durch die Atemgasanalyse (Spiroergometrie) lässt sich genau ablesen, ab welcher Leistung ein Sportler Fett statt Kohlenhydrate verbrennt. Dies ermöglicht ein sehr gezieltes Training. Beim Tennisspielen liegt größtenteils eine anaerobe Stoffwechselsituation vor, das bedeutet: die Energiebereitstellung erfolgt mit 60-85% primär über den Abbau von Kohlenhydraten. Zu wissen, ab welcher Belastungsintensität der Stoffwechsel von aerob (primär Fette) auf anaerob (primär Kohlenhydrate) umstellt, ermöglicht ein gezieltes Training der Ausdauerleistungsfähigkeiten.

Innere Werte

Als zusätzliche Untersuchung zur Laktatdiagnostik und Spiroergometrie hat sich eine Analyse der Körperzusammensetzung mittels Bioelektrische Impedanzanalyse (BIA) sehr bewährt. Das Durchführen der Analyse erfolgt im Liegen mit auf der Haut aufgeklebten Elektroden. Diese erzeugen ein nicht spürbares und gesundheitlich völlig unbedenkliches elektrisches Wechselstromfeld. Die gemessen Werte geben u.a. wertvolle Einblicke in Muskel- und Organmasse sowie den Körperfettanteil. Dies hilft dabei, die Messwerte aus der Laktatdiagnostik und Atemgasanalyse noch besser zu interpretieren. Ein Aspekt, der in der Praxis manchmal zu wenig Beachtung findet: nur wenn die richtigen Schlüsse aus erhobenen Messwerten gezogen werden, kann die körperliche Leistung verbessert werden. Hierbei ist Expertenhand gefragt. Moderne Computerprogramme und Gerätschaften können den Leistungsdiagnostiker unterstützen, ihn aber niemals ersetzen! 

Das regelmäßige Durchführen einer Bioelektrische Impedanzanalyse (BIA) hilft auch dabei, im Saisonverlauf eine Mangelernährung oder ein Übertraining zu vermeiden. Gerade mit Blick auf die Belastungsverträglichkeit gilt es zu bedenken, dass diese so individuell ist wie der Daumenabdruck eines Spielers. Ohne entsprechende Daten ist es nicht vorauszusehen, wie beispielsweise ein Tennisspieler die summierte Belastung aus Tennis-, Ausdauer- und Krafttraining verträgt. Nur wenn dies gemonitort wird, kann rechtzeitig interveniert und verhindert werden, dass der Spieler während einer Saison ausbrennt.

Leistungsdiagnostik und dann?

Am Ende einer Ausdauerleistungsdiagnostik erhält ein Tennisspieler individuelle Trainingsbereiche, mit denen er seine Ausdauerleistungsfähigkeit gezielt und maximal erfolgreich trainieren kann. Dadurch kann er die Fitness erlangen, um auch über lange Spiele hinweg die körperliche und geistige Leistung aufrechtzuerhalten. Und das ist wichtige Basis, um im entscheidenden Moment die Big Points zu machen. In anderen Spielsportarten, wie z.B. beim Fußball, gehört die Diagnostik der Ausdauerleistungsfähigkeit schon lange zum Standardprogramm und sollte auch im Leistungstennis selbstverständlich sein. Denn nur wer richtig trainiert, kann auf den Punkt topfit sein und seine maximale Leistung abrufen. 

Durch das regelmäßige Wiederholen einer Leistungsdiagnostik können bisherige Trainingsmethoden auf ihre Wirkung hin überprüft und ggf. nachjustiert werden. Dieser Aspekt ist besonders wichtig, da bei der Trainingsplanung nicht vergessen werden darf, dass Planen Handeln auf Zeit ist. Es muss daher regelmäßig überprüft werden, ob ein ursprünglicher (Trainings)Plan noch zum Ziel führt oder ob etwas geändert werden muss. Die Ergebnisse einer Leistungsdiagnostik ermöglichen aber nicht nur eine erfolgreiche Trainingssteuerung. Die erhobenen Daten ermöglichen es auch, den Fitnesszustand eines Spielers innerhalb einer Mannschaft oder einer Leistungsklasse einzuordnen

Für Tennisspieler gilt nicht zuletzt: Ausdauer wird früher oder später belohnt – meistens später. Beim längsten Finale der Wimbledon-Geschichte zwischen Djokovic und Federer hätten beiden den Sieg verdient. Am Ende kann beim Tennis aber nur ein Spieler als Sieger vom Platz gehen. Wer eine gute Ausdauerleistungsfähigkeit mitbringt, hat die besten Chancen darauf, am Ende der Matchwinner zu sein.

Fazit

  • Im Tennis spielt die Physis eine immer wichtigere Rolle
  • Die Grundlagenausdauer ist wichtig, um im entscheidenden Moment – auch nach langer Spielzeit voller körperlicher Beanspruchung – die Konzentration für den Schlag aufrecht zu erhalten, der über Sieg oder Niederlage entscheiden kann
  • Durch eine Leistungsdiagnostik können Tennisspieler ihre Ausdauerleistungsfähigkeiten gezielt trainieren, um auf den Punkt topfit zu sein 
TOPSPIN Magazin des Hessischen Tennis Verbandes | Ausgabe #20 2019
TOPSPIN Magazin des Hessischen Tennis Verbandes | Ausgabe #20 2019

Der Artikel "Advantage Ausdauer" erschien zuerst in: TOPSPIN - Das Magazin des Hessischen Tennis Verbandes | Ausgabe #20 2019